Das Lorrainequartier
Ich gebe es zu, als Altstadtbewohnerin sind mir die äusseren Quartiere der Stadt nicht sehr vertraut. Was für ein Glück also, zusammen mit der Fotografin Sandra Stöiber, einer Lorrainebewohnerin, das trendige Quartier entdecken zu dürfen.
Als Stadtführerin – und das ist schon fast eine Deformation professionelle – muss ich natürlich auch immer einen Blick in die Vergangenheit werfen: Gehen wir also zurück ins Jahr 1848. Bern wird Bundesstadt, und mit dem Anschluss an das nationale Eisenbahnnetz 1860 setzt ein stürmisches wirtschaftliches Wachstum ein. Die Altstadt platzt „aus allen Nähten“, d.h. sie wächst in alle Richtungen über den Aarebogen hinaus. Es ist die grosse Zeit der Brücken, deren wunderschöne Eisen-Konstruktionen noch heute ein Loblied auf die Errungenschaften der Industrialisierung singen.
Im Osten erstanden die Burger 1856 das brachliegende Kirchenfeld und erschlossen die Gegend zusammen mit der englischen Berne Land Company zu einem Quartier für die „habligen Leute“. Noch heute finden sich dort Botschaften und Konsulate.
Im Westen der Stadt entstehen das Lorrainequartier und der erste Teil des Breitenrains. Hier siedelten sich Arbeiter und Handwerker an. Während der Depression nach dem 1. Weltkrieg wird es mehr und mehr zu einem Quartier der armen Bevölkerung, bis sich die Stadt schliesslich dafür einsetzte und erschwingliche aber gute städtische Wohnhäuser baute.
In den 90er Jahren waren diese städtischen Bauten und die Gegend recht heruntergekommen, und die Lorraine wurde zum sogenannten A-Quartier. Das heisst, dort wohnte der „Rand der Gesellschaft“, Arme, Arbeitslose, Ausländer und Alternative. Doch vor allem die Alternativen veränderten nach und nach das Quartier, sie zogen in sanierungsbedürftige und meist billige Wohnungen und begannen, ihren Lebensraum nach eigenen Bedürfnissen zu gestalten. Es gab diverse Kulturangebote und grüne Oasen mit Verkehrsberuhigung. Es entstanden Cafés und spezielle Läden.
Das alles hat das Quartier komplett verändert. Es war plötzlich „in“ geworden – und die Mieten stiegen. Das ehemalige Arbeiterquartier mit Ghettoimage entwickelte sich zum Trendquartier mit ganz unterschiedlichen Bewohnern. Man arrangierte sich untereinander, und die mehrbesseren Neuzuzüger und die Alteingesessenen leben seither friedlich neben- und miteinander.
Schauen wir uns das Quartier zusammen durch Sandras Foto-Objektve genauer an: #lorrainefeeling
Ich hoffe, Sandra Stoiber nimmt mich bald noch einmal mit.
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