Das Berner Rathaus feiert in einem Mittelalterfest sein 600jähriges Bestehen
Seit 2011 belebt der Mittelalterverein Bern möglichst geschichtsgetreu die verschiedenen Epochen der schweizerischen Mittelalter-Szene. An der 600-Jahrfeier des Rathauses hat das Zähringervolk ihr gewandetes Lagerleben in den Bereich der Unteren Berner Altstadt verlegt. Doch nicht nur sie, auch eine Anzahl weiterer historischer Vereinigungen, die sich dem aktiven mittelalterlichen Lebensstil verschrieben haben, waren unter den vielen Festbesuchern und an den Handwerkerständen zwischen Rathaus und Münsterplatz zu finden – bis hin zu „fremden“ Besuchern aus dem süddeutschen Raum.
Allerlei mittelalterliches Volk aus allen Ständen
Die historische Atmosphäre war wirklich gelungen: In den Gassen unterwegs waren Einzelne Gestalten, aber auch ganze Familie mit Kindern und Gruppen von Erwachsenen, die das Mittelalter in der Unteren Altstadt von Bern lebendig werden liessen. Von adeligen Damen über Herrschaften aus den vornehmsten Häusern bis hin zu Bürgern der Stadt und allerlei Händlern und Bediensteten reichte das bunte Bild der „Gewandeten“. Eine wahre Augenweide!
Der Markt und die Handwerker
Ein Stand auf dem Münsterplatz bezeichnet sich als „Taendelerey“, und jedem irgendwie gebildeten Menschen kommen dabei die Verse „Tand, Tand, ist das Gebilde von Menschenhand!“ in den Sinn. So nämlich beschreibt Theodor Fontane in seiner Ballade „Die Brücke am Tay“ 1880 ein tragisches Zugunglück, das infolge einer damaligen „technischen Hybris“ einem überdimensionierten Brückenbau geschah. Das Mittelhochdeutsche Wort „Tand“ bedeutet Geschwätz, Unsinn, Firlefanz, Plunder…
Auf den Wagen und an den historischen Marktständen werden vielfältige Erzeugnisse angeboten. Korber, Färber oder Spinnerinnen an Spinnrad und mit Spindeln zeigen am Strassenrand ihre handwerklichen Kunstfertigkeiten. Eine hübsche Apothekerin erklärt Besuchern zudem, wie man allerlei Salben herstellt.
Dienstleitungen
Dienstleistungen, die es bereits im Mittelalter gab, können am Rathausfest in Anspruch genommen werden: Eine Friseurin bringt Mädchenhaare in eine „burgfäuleinhafte“ geflochtene Form; in seiner Schreibstube bietet ein Schreiber seine Künste an und unterrichtet diejenigen darin, die sich ein Weilchen Zeit dafür nehmen wollen; und im Mosesbrunnen schrubben zwei Wäscherinnen mühselig die Kleider ihrer Herrschaft.
Die Beginen
Nein, das sind keine gewöhnlichen Klosterfrauen. Die Beginen waren eine Gemeinschaft von weltlichen Frauen, die seit dem 12. Jahrhundert – die ersten kennt man aus den Niederlanden – ohne Unterschied von Stand und Vermögen in eigenen Beginenhäusern und –höfen in christlichem Glauben und Tun zusammen lebten. Im Mittelalter hatten es unverheiratete und verwitwete Frauen äusserst schwer, sich einen „anständigen“ Lebensunterhalt zu verdienen. Durch spezialisierte Handarbeit (Salberei, Gärtnerei etc.) und Dienstleistungen (Krankenpflege, Erziehung, Leichenwäsche etc.) machten sie sich im Lauf der Zeit europaweit verbreitet einen Namen (seit 1247 auch in der Schweiz). Was sie von Nonnen unterschied: Die Frauen legten nur ein Gelübde auf Zeit ab, jede konnte die Gemeinschaft ohne Folgen jederzeit wieder verlassen. Ihre Blütezeit erlebten die Beginen von Mitte des 13. bis Mitte des 14. Jh. In den folgenden Jahrhunderten litten diese selbständig denkenden und handelnden Frauen vielfach unter der Inquisition, doch erst die Reformation im 16. Jh. liess ihre Gemeinschaften verschwinden. 13 der 26 noch existierenden Beginenhöfe in Flandern stehen heute als UNESCO-Weltkulturerbe unter Schutz.
Gesetzeshüter und wehrhaftes Volk
Auf den Strassen innerhalb des Festgeländes spielten sich allerlei mittelalterliche Szenen ab. Ob die Dienstmagd mit ihrer Pfanne in der Hand den am Boden liegenden Gesetzeshüter wirklich niedergestreckt hat, bleibt im Ungewissen. Jedenfalls wurde sie von einem vorbeigehenden Küfer (Fassmacher) oder Händler und ihrer Freundin, der Wäscherin, dabei beobachtet. Sicher ist, dass sie nun höllisch aufpassen musste, von der überall patroullierenden mittelalterlichen „Polizei“ nicht aufgegriffen zu werden, die für Ordnung im Gelände sorgte und Weinpanscher auf dem Markt oder Aufwiegler aufgriffen und ins Rathaus überführten, wo ihnen in Gerichtsverhandlungen im Beisein der Öffentlichkeit eine Verurteilung drohte. Die Urteilsvollstreckung wurde anschliessend auf dem Münsterplatz vollzogen. Da gab es einige glücklichere vogelfreie, andere wurden unters Joch gestellt und dem Gespött der Menge ausgesetzt…
Das Heerlager befand sich auf der Münsterplattform, und vor dem Münster wurde das wehrwillige Volk durch Berufssoldaten mit der Verteidigungsform durch die Hellebarde vertraut gemacht, resp. gedrillt…
Text und Bilder von Zahai Bürgi